Schüchtern, traurig, unnahbar, phlegmatisch. Mit solchen und ähnlichen Adjektiven verweist das Umfeld oft auf die sonst eher ruhigen, zurückgezogenen Introvertierten. Allerdings sind wir größtenteils weder Antisocs noch Cubes, unsere inneren Bedürfnisse und Kommunikationsbedürfnisse sind ganz einfach andere. Eine der neuesten Behandlungen des Themas, Sylvia Löhkens Buch The Power of Silence, korrigiert eine Reihe von Missverständnissen und gibt auch Ratschläge, wie man die Stärken von Introvertierten nutzen kann. Das Buch kann aber auch als guter Ratgeber für diejenigen dienen, die ihre Bekannten nicht verstehen, die manchmal in den Einsiedlermodus wechseln.
Ein Intro zu sein ist überhaupt kein Nachteil
Löhken hebt in seinem Buch genau das hervor, was in Bezug auf Introvertiertheit nicht üblich ist: die Stärken des Persönlichkeitstyps. Denn trotz der Tatsache, dass der Durchschnittsmensch gerne negative Klischees mit Introvertiertheit assoziiert, deren Realität meist keinen Bezug zur Realität hat, hat der Persönlichkeitstyp auch viele Vorteile. Beispiele sind analytisches Denken, die Fähigkeit, allein zu sein, oder die Tatsache, dass die meisten von ihnen ausgezeichnete Zuhörer sind und sensibel für die Probleme anderer Menschen sind. Es ist jedoch eine völlig falsche Vorstellung, dass ein zurückgezogener Mensch keine gute Führungspersönlichkeit werden kann, keine wirkungsvolle Rede vor Menschenmengen h alten kann oder dass ihm das Handeln fern liegt. Denken Sie nur an Berühmtheiten wie Barack Obama, Ingrid Bergman, Woody Allen, Mark Zuckerberg und Claudia Schiffer, die alle ziemlich gut abgeschnitten haben, obwohl sie introvertiert sind.
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In ihrem Buch legt die Autorin großen Wert darauf, die Stärken von Intros detailliert darzustellen, erklärt aber auch ausführlich, warum sich keiner der Persönlichkeitstypen verallgemeinern lässt, d.h. warum man nicht sagen kann, dass alle Intros es sind Einsiedler, die zu Hause sitzen, und solche, noch dass alle Extrovertierten charismatische Entertainer sind. Löhken betont immer wieder, dass der einzige wesentliche Unterschied, der uns voneinander unterscheidet, darin besteht, dass ruhige Menschen Energie brauchen, um soziale Beziehungen aufrechtzuerh alten, während extrovertierte Menschen genau durch diese Beziehungen Energie gewinnen. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit asozialem Verh alten, d.h. Introvertierte sind genauso sozial wie Extrovertierte: Auch wir brauchen und schätzen verlässliche zwischenmenschliche Beziehungen.

Damit wir Introvertierten das Beste aus unseren Fähigkeiten herausholen können, müssen wir wissen, wo wir uns auf der Introversion-Extroversion-Skala befinden. Um das herauszufinden, bietet das Buch einen tollen Test, der hinreichend genau zeigt, wie leise wir sind. Anerkennung ist der Schlüssel und kann uns sehr dabei helfen, unseren Bedürfnissen mehr Aufmerksamkeit zu schenken oder Erwartungen anderer nicht erfüllen zu wollen, was für die introvertierte Persönlichkeit auf lange Sicht sogar schädlich sein kann und uns in eine Art von führen kann Selbstverleugnung.
Diese erzwungenen und sehr belastenden Erwartungen für uns kommen von nichts anderem, als dass unsere Umgebung uns einfach missversteht. Und darunter leiden wir auf völlig verständliche Weise, und wir haben ständig das Gefühl, dass uns niemand versteht. Die schlechte Nachricht ist, dass der einzige Weg, aus dieser lästigen Spirale herauszukommen, darin besteht, die Aufmerksamkeit der Menschen um uns herum auf uns zu ziehen. Das gelingt uns aber nur, wenn wir uns unserer inneren Mechanismen bewusst sind, uns also ein wenig mit unserem angeborenen Persönlichkeitstyp auseinandersetzen.
Und ein Buch sagt die Wahrheit?
Grundsätzlich bin ich etwas skeptisch gegenüber Selbsthilfebüchern, manchmal lese ich sie, aber ich habe mehr Vertrauen in Profis aus Fleisch und Blut, die antworten können. Trotzdem muss ich zugeben, dass The Power of Silence mich überrascht hat, weil es nicht nur die Merkmale der Introversion präsentiert, sondern der Autor auch mit dem Leser kommuniziert, außerdem hilft er uns mit den Tests zu den Kapiteln, was zu erkennen unsere persönlichen inneren Bedürfnisse sind und hilft zu skizzieren, mit welchen Stärken wir unsere Schwächen ausgleichen können.
Außerdem übertreibt Löhken nicht, er widmet beispielsweise ein ganzes Kapitel der ausführlichen Darstellung der Vorzüge, in diesen Persönlichkeitstyp hineingeboren zu werden, hilft uns aber auch herauszufinden, welche davon wirklich charaktervoll sind uns. Und das ist enorm wichtig, wenn wir mit uns im Reinen sein und unser Potenzial ausschöpfen wollen. Ich habe zum Beispiel bis Anfang Zwanzig sehr gelitten, weil ich mit Fremden über nichts krampffrei reden konnte, mir Vorwürfe machte, weil ich einen Ausweg aus gesellschaftlichen Zusammenkünften suchte, oder weil es mir schwer fiel, mich in der Fremde einzuleben Umgebung. Als ich anfing, mich mehr mit meiner Introversion auseinanderzusetzen, stellte ich mit großer Mühe fest, dass diese zwar wirklich schlimmer für mich sind als die meisten meiner extrovertierten, lockeren und entspannten Freunde, gleichzeitig aber in vielen anderen Dingen stärker bin. Es mag wie ein abgedroschenes Klischee erscheinen, aber gleichzeitig ist es wirklich eine großartige Grundwahrheit, dass wir durch das Erkennen unserer Stärken und Schwächen endlich die Balance mit uns selbst finden können und es uns von hier aus nicht mehr so schwer fällt, eine Umgebung zu finden in dem wir uns wohlfühlen und an dem wir uns kontinuierlich weiterentwickeln können, indem wir unsere Stärken beruflich und persönlich trainieren.
Über den Autor
Dr. Sylivia Löhken ist seit 2003 Beraterin für Menschen mit introvertierten Persönlichkeitstypen. Promovierter Linguist und Kommunikationsexperte, zertifizierter Coach. Er war zehn Jahre leitender Mitarbeiter des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) in Deutschland und Japan.
Um von einem zum anderen zu gelangen, ist es jedoch auch notwendig, sich unserer bereits erwähnten inneren Bedürfnisse bewusst zu sein, und insbesondere jener inneren Hindernisse, die wir oft selbst erzeugen oder in unserem Leben einfach verewigen. Ein lehrreiches Kapitel, in dem Löhken beschreibt, was die inneren Barrieren sein können, die besonders für Introvertierte charakteristisch sind und unseren Alltag, zwischenmenschliche Beziehungen oder auch unser berufliches Fortkommen erschweren können.
Die Intros zum Beispiel sind besonders intensiv und schwierig, Angst zu erleben
Was natürlich ein grundmenschliches Gefühl ist, und jeder erlebt es hin und wieder, aber Löhken erklärt auch, warum dieses Gefühl bei Introvertierten stärker ist, und gibt auch eine Anleitung, wie man damit umgeht, wenn es so ist wird zu überwältigend. Denn ohne Kontrolle kann Angst zu unserem Kontrolleur werden und uns in unserem Leben zurückh alten, da wir in unserer Angst vor dem Scheitern wichtige Aufgaben und Entscheidungen verschieben und Herausforderungen voller Chancen überspringen können. Natürlich gibt es auch eine Reihe anderer innerer Hindernisse, die eher typisch für ruhige Menschen sind. Beispiele sind Passivität, Desintegration, Reizüberflutung, Konfliktvermeidung oder Kontaktvermeidung, die für uns sehr charakteristisch sind. Und wir können damit nur umgehen, wenn wir akzeptieren, dass es unser eigenes Wesen ist, das unser Verh alten blockiert. So haben wir die Möglichkeit, unser Verh alten mit ausreichend Aufmerksamkeit, Energieaufwand und Übung zu kontrollieren.
Für Einführungskinder kann die Schule scheiße sein
Zumindest wäre ich sehr dankbar gewesen, wenn, sagen wir, die Lehrer, die mich unterrichtet haben, auch etwas Ähnliches wie Löhkens Buch gelesen hätten, der seitenweise über den Umgang mit introvertierten Kindern schreibt. Vielleicht sage ich nichts Neues, wenn ich sage, wie wichtig es ist, wenn Eltern und Lehrer schon in jungen Jahren erkennen, ob das Kind introvertierte oder extrovertierte Bedürfnisse hat. Fehlt dies, kann das Kind in der Vorschul- und Schulzeit viele negative Erfahrungen sammeln und das Gefühl der Selbstgeißelung, irgendwie nicht wie die anderen zu sein, kann bestehen bleiben. Außerdem werden sie durch ihre nicht erkannte Introvertiertheit in für sie sehr schwierige Situationen gedrängt (im Grunde sind die Schuljahre mit Gruppenzwang für ruhige Kinder belastend) und drücken ihre innere Anspannung und ihren Protest oft mit Wutausbrüchen oder Weinen aus. Und wenn die Eltern und Lehrer keine Ahnung haben, warum das alles passiert, ist es ganz natürlich, dass die Ausbrüche falsch kodiert und als hysterisch bezeichnet werden und das Kind ein allgemeines Unverständnis entwickelt, also das Gefühl, ein Außenseiter zu sein.
Aber es gibt für alles eine Lösung
Genau deshalb gibt die Autorin im zweiten Teil des Buches eine Reihe von Tipps, Aufgaben und nützlichen Ratschlägen, wie introvertierte Menschen ihre beruflichen oder privaten Beziehungen pflegen und aufbauen können. Löhken konzentriert sich auf Lösungsvorschläge, berührt aber auch wichtige Themen wie Beziehungen und spricht auch Aspekte dessen an, was passiert, wenn Menschen versuchen, in einem Intro-Intro- oder Extro-Intro-Setup zusammenzuleben. Er spricht über eines der größten Laster des zurückgezogenen Menschen, Debattenpositionen und das Netzwerk, und wir finden auch Lösungsstrategien für Situationen, in denen uns das Leben mit schwierigen Menschen zusammenbringt, wie zum Beispiel dem gesprächigen Menschen, der ein bisschen wie eine Energie ist Vampir für uns, der aggressive, der cholerische oder der pessimistische Typ. Leider bekommen wir keine Ratschläge, was wir mit Halbfremden tun sollen, die uns ohne Vorwarnung umarmen.
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Löhkens Ratschlag ist leicht nachzuvollziehen, denn sein Schreiben zeigt, dass er nicht nur über ein fundiertes Wissen über Introvertierte verfügt, sondern auch als ruhiger Mensch im Laufe der Jahre so viele negative und positive Erfahrungen gesammelt hat. Und diese Authentizität ist die größte Stärke des Buches, denn wer wüsste am besten, wie schrecklich sich ein Introvertierter beim Smalltalk fühlt, wenn nicht ein anderer Introvertierter?